LIBERALER VERFASSUNGSTAG 2023

Zum Tag des Grundgesetzes am 23. Mai veranstaltete die VLJ-BW in Kooperation mit der Friedrich-Naumann- und Reinhold-Maier-Stiftung eine Podiumsdiskussion in Heilbronn unter dem Motto „Unser Grundgesetz – Solides Fundament oder Dauerbaustelle?“. Einen Impuls lieferte Prof. Dr. Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a.D., wobei er diverse verfassungspolitische Zeittendenzen und Grundfragen beleuchtete. Zur Grundrechtslehre forderte Kirchhof: „Hände weg vom Grundgesetz!“. Die Einführung immer neuer Staatsziele und Grundrechtspositionen – wie etwa die derzeitige Diskussion um „Kultur“ als Staatsziel sowie Kinderrechte – verschiebe die Architektur der Verfassung und öffne nur das Tor zu einem größeren Einfluss der Judikative, denn: „Wer Grundrechte säht wird Rechtsprechung ernten.“

Im Staatsorganisationsrecht bemängelte Kirchhof das fehlende Engagement des Bundestags in Grundfragen, etwa der Eurorettung, der Aussetzung der Wehrpflicht, dem Atomausstieg oder der Grenzöffnung 2015. Hier habe die Exekutive den Ton angegeben und der Bundestag nur abgenickt. Zum Wahlrecht führte Kirchhof aus, dass nicht eine Stärkung der Listen, sondern der Direktmandate zu wünschen sei. Ein zusätzliches Problem sei die wachsende europarechtliche Determinierung von Gesetzgebung; 70-80% der Entscheidungen werde in Brüssel getroffen. Dies verursache einen gefühlten Souveränitätsverlust.

Als Lösung könne beispielsweise über direktdemokratische Elemente auf Bundesebene nachgedacht werden; so solle bei bestimmten Gesetzgebungsmaterien (etwa Grundgesetzänderungen und Kompetenzverschiebungen auf die EU) ein zweistufiges Verfahren eingeführt werden, bei dem ein Plebiszit zustimmen muss, bevor die Entscheidungen des Parlaments Wirkung entfalten.

In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Melanie Kögler, Geschäftsführerin der Reinhold-Maier-Stiftung, Stefanie Assmann, Vorsitzende der VLJ-BW, sowie Nico Weinmann MdL, rechtspolitischer Sprecher der FDP/DVP-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg wurden diese und weitere Anregungen aus dem Publikum ausführlich diskutiert. Die lange Debatte zeigt: Das Grundgesetz ist trotz Renteneintrittsalter weit davon entfernt, seine zentrale Rolle in der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu verlieren. Es ist solides Fundament und Dauerbaustelle in einem.